Alles neu macht der Mai… nein, Juli: Ansätze zur ganzheitlichen Betreuung gemäß §16k SGB II

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Mit viel medialem Tamtam wurde Ende letzten Jahres das Bürgergeld-Gesetz verabschiedet. Die einen sprachen von einer „neuen Augenhöhe“, die anderen verstanden nicht, was an der bisher gelebten Augenhöhe falsch gewesen sei. Letztlich werden erst die nächsten Jahre zeigen, was die Auswirkungen auf den realen Beratungsprozess im Jobcenter sind – denn letztlich reden wir „nur“ über einen gesetzlichen Rahmen, der aus meinem Erleben heraus seit Jahren ganz differenziert vor Ort interpretiert wird.

Folgende Tendenzen nehme ich in der Begleitung von Jobcentern immer stärker (auch bereits vor dem Bürgergeld) wahr: Zunächst gibt es mehr Flexibilität: Starre Mechanismen werden immer mehr durch flexiblere Möglichkeiten ersetzt. Das ermöglicht mehr Individualität, schiebt aber gleichzeitig auch mehr Verantwortung zur Fachkraft. Ermessensspielräume sind gut, aber stellen auch höhere Anforderungen und steigern damit die psychische Belastung auf Arbeit. Ein weiterer Punkt ist die Freiwilligkeit: Der Umfang freiwilliger Angebote wird immer größer: Sei es im Rahmen der gesundheitsorientierten Beratung (Stichwort „teamw()rk“) oder jetzt bei der ganzheitlichen Betreuung im Kontext des §16k SGB II. Im klassischen Beratungs- und Coachingkontext ist es ein normaler Grundpfeiler, dass Freiwilligkeit vorherrscht und nur so dauerhaft Ziele erreicht werden können. Im Kontext des SGB II ist dies jedoch deutlich differenzierter, weil die übergeordneten gesellschaftlichen Ziele der Arbeitsvermittlung nicht vollends verschwinden und somit ein Spagat gelingen muss – Individuelle Freiwilligkeit vs. gesellschaftlicher Anspruch der Senkung von Hilfsbedarfen. Um letzteres zu erreichen, nimmt auch die Relevanz der Einbindung Dritter zu: Die fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit (Stand 25.5.2023) betont, dass der/die Coach/-in die „Leistungsberechtigten zur Inanspruchnahme bestehender Angebote beraten, motivieren bzw. deren Inanspruchnahme aktiv unterstützen“ soll. Das erinnert ebenfalls an die Kooperation mit den Akteuren des SGB V im Kontext von „teamw()rk“, d.h. der Themenumfang steigt und soll daher durch die Einbindung Dritter kompetenz- und ressourcentechnisch abgedeckt werden.

Wie reagiert man am besten auf die Entwicklungen? Bei den meisten Jobcentern werden aus meiner Sicht einfach die bisher eingeschlagenen Wege fortgesetzt und spezifiziert. Letztlich muss man sagen, dass es bereits vorher Projekte gab, die Betreuungsschlüssel von 1:25 bis 1:40 ermöglichten. Nun wird lediglich betont, dass diese Ansätze mehr und mehr zur Normalität übergehen sollen. Für die Personalentwicklung werden folgende Kompetenzen in der Fachanweisung hervorgehoben:
-    ein vielfältiges Methodenrepertoire, insbesondere in den Feldern Gesprächsführung, Konfliktbewältigung, systemische Beratung
-    Kennen und Anwenden von Interventions- und Beratungsformen der ganzheitlichen Betreuung
-    Erfahrungen mit aufsuchender Beratung und Kenntnisse von Lebensweltkonzepten 
-    Interkulturelle Kompetenz, Vernetzungskompetenz, Grundkenntnisse über das Verfahren im Rehabilitationsprozess im SGB IX

Was kann überdies getan werden, um Fachkräfte im und für den Prozess zu unterstützen?

1.    Methodenrepertoire stärken: Hier kann unser Seminar „AktivA-Ausbildung im Einzelsetting“ helfen. Dabei handelt es sich um einen großen Methodenkoffer mit Coachingtools, die direkt für die Arbeit mit Erwerbslosen entwickelt wurden. Es gibt hier einen kurzen Abriss zu motivierende Gesprächsführung mit den entsprechenden Gesprächstechniken. Das Herzstück von AktivA ist dann aber ein großes Methodenportfolio, welches sich folgenden 4 Themen widmet:
-    Aktivitätenplanung (z.B. gesunde, zielführende Tagesgestaltung/Tagesstruktur)
-    Konstruktives Denken (z. B. Umgang mit Schwarzmalerei, Gedankenspiralen)
-    Soziale Kompetenz und soziale Unterstützung (z. B. Sympathie wecken im Vorstellungsgespräch, sich unterstützende Netzwerke aufbauen, eigene Forderungen ruhig und sachlich formulieren)
-    Systematisches Problemlösen (z. B. Ziele definieren, sich Attraktivität von Zielen erschließen und im Alltag bewusst machen, Entspannungstechniken für kritische Situationen)
Der Vorteil dieses Methodenkoffer liegt darin, dass in der späteren Arbeit immer nur gezielt die Tools herausgegriffen werden, die für das konkrete Beratungsgespräche angezeigt sind.

2. Gesprächsführung stärken – insbesondere das Wecken von Motivation: Hier hilft das Seminar „Motivierende Gesprächsführung“. Dort werden zunächst Motivation und einzelne Motivationsphasen beleuchtet. Hier ist es mir besonders wichtig, dass stärker von dem Gedanken: „Wenn ich im Gespräch richtig überzeugend bin, dann bekomme ich jede Person.“ weggerückt wird. Ein klassisches Überzeugen im Gespräch bewirkt meistens eher wenig, weil dann zwar im Beratungskontext „Ja“ gesagt wird – aber bis zum nächsten Termin wieder „Nein“ gelebt wird. Die Herausforderungen der Freiwilligkeit bei den Beratungsangeboten und der gleichzeitigen Verzahnung mit den Angeboten Dritter sind ausschlaggebend (Wie viele Kunden und Kundinnen hat man schon auf dem Weg zum Bildungsträger etc. „verloren“?): Die ressourcenintensive Arbeit im Rahmen des §16k SGB II ist nur zu stemmen, wenn ausreichend Eigenmotivation bei den Kundinnen und Kunden vorhanden ist und folglich auch die Fachkräfte erkennen, welche Personen sie auf keinen Fall in ein Coaching geben sollten. Ansonsten werden dauerhaft Ressourcen gebunden, die in einer Dauerberatung ohne nachhaltigen Erfolg münden.

3. Fachkräfte nach Weiterbildungsbedarf fragen: Eine sehr simple Sache, aber sie geht immer noch zu sehr im Alltag unter. In vielen Fällen können Fachkräfte gut benennen, welche Beratungssituationen schwierig sind. Natürlich kommt dann immer wieder die Frage auf, ob nicht einfach das Gegenüber gerade sehr speziell auftritt – aber auch hier kommt man mit einem offenen Dialog schnell an den Punkt, eigene Potenziale beim Namen zu nennen und angemessen zu unterstützen. Die ganzheitliche Betreuung im §16k SGB II wird von der einen oder anderen Fachkraft eventuell ganz andere Arbeitsweisen erfordern. Daher lohnt es sich hier, gezielt die Fachkräfte anzusprechen, die sich selbst bereits in der Rolle sehen (und davon erlebe ich immer wieder sehr viele in unseren Seminaren).

4. Netzwerkkompetenzen ausbauen: Hier kann man sich meist sehr gut selbst helfen. Bei vielen Jobcentern erlebe ich es, dass einzelne Fachkräfte exzellentes Know-How haben und sehr stark vernetzt sind – gleichzeitig dieses Wissen manchmal nicht den Weg zu den Kolleginnen und Kollegen findet. Daher lohnt sich, Übersichten zu externen Anbietern zu erstellen sowie die kollegiale Fallberatung auszubauen und somit die Teams zu befähigen, sich gemeinsam auf einen höheren Wissensstand zu entwickeln. Wichtig: Es geht dabei nicht um einen entspannten Austausch im Team, sondern um ein fokussiertes Arbeiten an Fallbeispielen. Daher ist die Empfehlung immer klare Methoden zur kollegialen Fallberatung zu nutzen.

Überdies helfen wohl nur Geduld und die Gewissheit, dass alles heute nicht der Weisheit letzter Schluss sein wird, sondern ein langer und von vielen spannenden Impulsen geprägter Weg vor uns liegt.

Ich wünsche Ihnen neben all dem Stress im Rahmen der Umstellung dennoch eine gute Zeit und dass Sie vor allen Dingen nie die Freude an Ihrer Beratungstätigkeit verlieren.

 

Von Roland Schulz

2023-07-13
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